Skip to content

Zirkelpunkte

Aufmerksamen Betrachtern von Heiligendarstellungen sind sie nicht verborgen geblieben: die sog. Zirkelpunkte. Es handelt sich hier keineswegs um zentrale Ausflugslöcher von Holzschadinsekten, oder um Vandalenakte. Zirkelpunkte sind im Zentrum der Nimben zu finden und zeigen uns heute, wie die Heiligenscheine angelegt wurden. Diese Konstruktionspunkte dienen der Anlage von einfachen aber auch mehrschichtigen Nimben und Trassierungen. Sie wurden zumeist nur übermalt und nicht zuvor gekittet. Der heutige Betrachter fragt sich, warum die früheren Künstler den Einstichpunkt nicht unterlegten, umso der Beschädigung der Grundierung zu entgehen. Vor allem schwer verständlich ist dieser Makel deshalb, da der Zirkelpunkt bei der späteren Ausmalung zumeist im Gesicht der dargestellten Person liegt und somit erkennbar ist. Vielleicht wurde dieser Konstruktionshinweis besonders wertgeschätzt und blieb – den Herstellungsprozess dokumentierend ­– deshalb erhalten und wurde bewußt nicht verheimlicht.

Zirkelpunkt oberhalb des rechten Auges der Maria. Verkündigung, um 1490, Öl/Tempera/Fichte, Alte Galerie am Universalmuseum Joanneum, Graz, AG Inv.-Nr. 363. Foto.: Autor

Zirkelpunkte im Haaransatz Gottvater und im Zentrum der Weltkugel. Verkündigung, um 1490, Öl/Tempera/Fichte, Alte Galerie am Universalmuseum Joanneum, Graz, AG Inv.-Nr. 363. Foto: Autor

Zirkelpunkt im Zentrum des Nimbus. Fohnsdorfer Altar, um 1530, Öl/Tempera/Holz, Alte Galerie am Universalmuseum Joanneum, Graz, AG Inv.-Nr. 391. Foto: Autor

Zirkelpunkte findet man freilich nicht nur in der sakralen Kunst. Bei vielen Architekturbildern finden sich nicht nur häufig Fluchtpunkte, sondern im Zentrum von gemalten Rundbögen, Nischen, Kuppeln, Kugeln, Oculi, kreisförmigen Gesimsen, etc. zusätzlich die Zirkelpunkte.

Der Maltechniker jedenfalls kann diese offensichtliche Nachlässigkeit nicht erklären, freut sich jedoch über diesen Hinweis, der die praktische Arbeit illustriert. Es hat sich auch in der Vermittlung und Museumsdidaktik gezeigt, daß solche Details von den Besuchern gerne gesucht und gefunden werden, sofern man sie darauf aufmerksam macht.

Der heutige Restaurator sollte diesen „Gruß aus der Werkstatt“ nicht zukitten und nicht überretuschieren.

Literatur

Nicolaus, K., Handbuch der Gemäldekunde, DuMont Buchverlag, Köln 1979, S. 1-267 (S. 87)
Nicolaus, K., Handbuch der Gemäldekunde, DuMont Buchverlag, Köln 2003, S. 1-336 (S. 188)

Dipl.-Rest. Dr. Paul-Bernhard Eipper
paulbernhardeipper@gmail.com
http://www.museum-joanneum.at/das-joanneum/unser-betrieb/ueber-das-joanneum/servicefunktionen/museumsservice/restaurierung/dipl-rest-dr-paul-bernhard-eipper.html

 

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Die Kommentarfunktion wurde vom Besitzer dieses Blogs in diesem Eintrag deaktiviert.

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Formular-Optionen

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!