In einem kürzlich ausgestrahlten Film von Michael Gregor (arte, 24.2.2016 17.30 und 20.15 h) wurde der weltberühmte Diskos von Phaistos (eine beidseitig mit einer Art Linear A gestempelte Tonplatte) erneut unter Fälschungsverdacht gestellt. Die Scheibe wird im Museum von Heraklion, Kreta, als „Nationalschatz“ ausgestellt. Das Museum verbietet sich allerdings jede Untersuchung durch Dritte.
Hintergrund (Zusammenfassung nach Wikipedia)
Der Diskos wurde angeblich am Abend des 3. Juli 1908 bei Ausgrabungen des Italieners Luigi Pernier im Zuge der von Federico Halbherr geleiteten italienischen Archäologischen Mission von 1908 gefunden. Man entdeckte ihn im westlichsten Gebäude des altpalastzeitlichen Nordosttrakts der minoischen Palastanlage von Phaistos auf Kreta. Pernier war jedoch bei der Auffindung nicht persönlich anwesend.Der Diskos lag etwa einen halben Meter über dem Felsboden nach Norden geneigt mit der später als „A“ bezeichneten Seite nach oben zwischen Schutt- und Keramikresten in einem rechteckigen 1,15 × 3,40 Meter großen Vorratsraum, heute als Kammer 8 des Gebäudes 101 bezeichnet.
Luigi Pernier datierte die Entstehungszeit des Diskos zwischen 1700 und 1600 v. Chr. Schon Pernier wies darauf hin, dass zwar die Mehrheit der Keramikfunde im Auffinderaum des Diskos aus der mittelminoischen Zeit stammten, einige hellenistische Fundstücke dazu jedoch nicht passten. Die stratigrafischen Daten des Fundortes sind für die zeitliche Einordnung des Diskos somit nicht verwertbar, da uneindeutig, zumal der Zeitpunkt seiner Herstellung nicht mit dem der Einlagerung am Auffindeort übereinstimmen muss.
Die Tonscheibe des Diskos ist von flacher und unregelmäßig runder Form. Ihr Durchmesser variiert zwischen 15,8 und 16,5 Zentimeter. Der Diskos besteht aus qualitativ hochwertigem feinkörnigen Ton, im Farbspektrum von hellem Goldgelb bis dunklem Braun, der nach der Stempelung sorgfältig gebrannt wurde. Die Art des Materials erinnert an das kretominoischer Eierschalenware.
Insgesamt ist er mit 241 Stempeleindrücken beschriftet, die durch Trennlinien (sogenannte Feldtrenner) zu 61 Zeichengruppen zusammengefasst sind.
Der Diskos enthält insgesamt 45 distinkte Stempelmotive, die als Abstrakta, Menschen und Tiere, sowie Objekte (Gerätschaften, Waffen, Pflanzenteile) identifiziert werden können. Daneben gibt es 17 sogenannte Dorne, Strichmarkierungen unter dem ersten Zeichen einer Abteilung, ab dem Zentrum der Scheibe gezählt.
Die präzise Methode der Herstellung des Diskos ist umstritten, wobei man einheitlicher Meinung darüber ist, dass die Symbole nicht von Hand geritzt wurden. Das Hauptproblem bei der Entzifferung besteht in dem geringen Textumfang von lediglich 241 Zeichen. Infolge der Einmaligkeit des Fundes fehlen zudem Anhaltspunkte, die Auskunft über Sprache oder Textinhalt geben könnten.
Behauptungen des Films
Zum Zeitpunkt des „Fundes“ war Kreta in verschiedene Protektorate aufgeteilt. Die Ausgrabungen von Phaistos standen unter italienischem Protektorat. Pernier hatte zunächst den Schweitzer Maler und Restaurator Emile Gilliéron sen.(1851-1924) angestellt, dann auch dessen Sohn, der zuvor schon für Heinrich Schliemann und dann von Arthur Evans (Knossos) gearbeitet hatte. Gilliéron ist für seinen skrupellosen Umgang mit der Wahrheit und einen gewaltigen Geschäftssinn bekannt: so ist er und sein Sohn (1885-1939) der eigentliche Urheber von Knossos als archäologisches Disneyland, völlig der Phantasie entsprungene Rekonstruktionen (Lilien statt Palmen, Lilienprinz statt Affe) von unklaren Einzelfunden zu Gefäßen oder Wandgemälden. Er wird auch in Zusammenhang gebracht mit den gefälschten Elfenbeinfiguren von Toronto und Boston.
Seit 1877 lebte er in Athen und war dort vor allem als archäologischer Zeichner tätig. Zeitweise war er auch Zeichenlehrer der Kinder des Königs von Griechenland Georg I.. Das Duo arbeitete über 30 Jahre in Knossos.
In Athen wird derzeit das Privatarchiv Gilliérons ausgewertet, eine Art illustrierte Buchhaltung, aus der das wahre Ausmaß seiner Tätigkeit hervorgeht. Gilliéron ließ sogar selbst Kopien bei der WMF herstellen und betrieb damit einen schwungvollen Handel.
In Heidelberg entsteht derzeit mit internationaler Beteiligung der Corpus der kretischen und Mykenischen Siegel. Auch Fälschungen hat man so entdeckt. Ganz besonders problematisch ist der „Ring des Minos“ (Heraklion), den Sir Arthur Evans bereits aus dem Kunsthandel erworben hatte.
Der Film liefert selbst keine Begründungen für die Fälschungshypothese, sondern führt lediglich Aussagen des New Yorker Kunsthändlers Jerome M. Eisenberg vor und vermutet als Fälscher Vater und Sohn Gilliéron. Nach Eisenberg seien Anhaltspunkte für eine Fälschung
- die scharfkantige Glätte der Scheibe. Eine derartige Scharfkantigkeit sei aus der Antike nicht bekannt
- die Einzigartigkeit der Scheibe, ähnliche Objekte seien nicht bekannt
- der nicht von Pernier dokumentierte Fund, er wurde erst später hinzugerufen
- zum Teil seltsame Stempel, etwa ein Boxerhandschuh
- die Unversehrtheit der Scheibe (sie muss jedoch aus oberen Stockwerken in einen Keller oder Viehstall gefallen sein), ihre unklare Funktion
- die Beteiligung der Gilliérons bei den Grabungen
- die Fülle an bereits erkannten Fälschungen nach den Grabungen von Evans
- die Weigerung des Museums, die Scheibe durch Dritte untersuchen zu lassen.
Beweise sind das noch nicht, lediglich wiederholte Behauptungen. Eisenberg hatte bereits in einem ausführlichen Beitrag in Minerva, Juli/August 2008, behauptet, die Scheibe sei eine Fälschung - urspränglich „hoax“, jetzt „fake“. In Deutschland wurde diese These bereits im April 2008 publik gemacht durch einen Beitrag von Mathias Schulz: Völker und Reiche der Frühzeit: Die komische Scheibe. In: Spiegel Online Wissenschaft, 29.4.2008, allerdings auch hier nur als Quintessenz aus der Unentzifferbarkeit und „seltsamen Fundumständen“.
Der populärwissenschaftlich gemachte Film steht noch eine Zeitlang im arte-Archiv: http://www.arte.tv/guide/de/057844-000-A/das-geheimnis-von-phaistos