Manche Besucher stören sich daran, andere nicht. Der Firnis spaltet seit jeher die Gemüter. Früher war es aber durchaus üblich, allen gemalten Oberflächen einen Überzug zu applizieren. Der Firnisüberzug sollte die Oberfläche nicht nur schützen sondern auch den Farben Tiefe verleihen. Bestimmte Gemälde (alte niederländische-, barocke -) brauchen also, um überhaupt wirken zu können, einen Firnis. Bis zum 19. Jh. wurden in der Regel Leinölfirnisse verwendet. Diese Überzüge vergilbten sehr stark und brachten aufGrund ihrer hohen Affinität zu Ölfarben zum Teil sehr große Probleme bei der Abnahme mit sich, wovon Tausende verputzte Gemälde noch heute Zeugnis ablegen. Nach dem Erscheinen des Buches „Anleitung zur Restauration alter Oelgemälde“, im Jahr 1828, verfasst vom Apotheker Friedrich Gottfried Hermann Lucanus (*3.12.1793-23.5.1872) setzten sich dann die leichter abnehmbaren Harzfirnisse mehrheitlich durch. Aber auch diese Naturharze vergilben mit der Zeit, weshalb auch sie dann und wann abgenommen werden und durch neue ersetzt werden. Der Mattfirnis jedoch ist ein Kind der 70 er Jahre: Er ist ahistiorisch und hat auf älteren Gemälden nichts verloren.
Längst nicht alle Gemälde haben einen Überzug: Begonnen hatte diese Entwicklung 1831 mit Eugène Delacroix’ Gemälde: „Die
Freiheit auf den Barrikaden“, welches er auf dem Pariser Salon ohne Firnis ausgestellt hatte, was ihm als Verstoß gegen maltechnische Regularien und als Ablehnung des akademischen Diktats angelastet wurde. Ihm folgte Anselm Feuerbach mit seiner Weigerung, einen Firnis auf seine Bilder zu applizieren, was ihm den Vorwurf einer „kalkigen“ Malerei einbrachte. Bei Schiele ging die Entwicklung der ungefirnissten Oberfläche noch weiter: Er hat mit mageren, einfachen Kreidegrundschichtaufträgen einen noch viel poröseren Malgrund erzeugt, welchen er teilweise stehen ließ. Pierre Louis Bouvier hatte in seinem Handbuch der Ölmalerei von 1895 ebenfalls einen Firnisverzicht propagiert. Auch bei van Gogh, Deusser, Marc, Macke, Munch, den französischen Impressionisten und Expressionisten etc. ist diese Auffassung vertreten. Nichtsdestotrotz finden sich heute von Restauratorenhand also nach der Entstehung der Gemälde aufgetragene Firnisse auf Werken von Heckel, Kirchner, Nolde, Schmidt-Rottluff etc., während die Leimfarbenmalerei auf Jute von Otto Müller mehrheitlich davon verschont blieb.
Auch die maltechnische Auffassung der bedeutendsten Tiermalerin Österreichs, Norbertine von Bresslern-Roths entspricht ihrer Zeit: Sie lehnt dezidiert einen Firnisauftrag ab, und so sind von ihr nur sehr wenige Gemälde mit einem Firnisauftrag überliefert. Bei allen diesen Gemälden ist der Firnis übrigens eine spätere Zutat, der erst aufgetragen wurde, als sich die Gemälde bereits im Zierrahmen befanden. Das Käthchen von Heilbronn, 1918, nimmt eine Sonderstellung bei Norbertine von Bresslern-Roth ein: Auf einer mager industriell grundierter Leinwand führte sie eine Temperamalerei aus, die sie teilweise überfirnisst. Auf dieser Firnisschicht liegen wiederum partielle matte Temperafarbschichten, welche wiederum einige Ölfarbenhöhungen tragen. Hier spielt und ringt die Malerin mit verschiedenen Glanz- und Mattstufen der Malschichtoberfläche. 2016 zeigt das Universalmuseum Joanneum in Graz eine umfassende Personale dieser Malerin.
Fazit: ungefirnisste Gemälde dürfen also keinesfalls gefirnisst werden. Der Firnisauftrag auf Gemälden erfolgte unter Berufung auf eine weit verbreitete „konservatorische Maßnahme“: In den letzten beiden Jahrhunderten ging man irrigerweise davon aus, dass Bilder mehrere Jahren nach ihrer Entstehung „genährt“ werden müssten, um eine Craquelé-Bildung zu vermeiden. Leider wird diese obsolete Praxis mitunter auch heute noch praktiziert, obwohl längst bekannt ist, dass Klimaschwankungen für die Craquelé-Bildung verantwortlich sind. Manche Restauratoren waren und sind leider bis heute auch beim „Reinigen“ besonders schnell: Sie applizier(t)en einfach auf eine originale, ungefirnisste, verschmutzte Oberfläche einen Firnis, zumeist ohne das Gemälde vorher aus dem Rahmen zu nehmen, und verkauf(t)en das Resultat als „ursprüngliche Frische der Oberfläche“. Bei dieser Maßnahme die künstlerische Ursprungsintention negiert.

Abb. 1: Anonym: „Samson und Dalila“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 1195, vor der Restaurierung (Abb. Autor/ Universalmuseum Joanneum).

Abb. 2: Anonym, „Ansicht eines Hafens“, Öl/Lwd., Detail: während der Firnisabnahme, links vom Schiffsmasten nach Firnisabnahme mit Isopropanol (Abb.: Autor).


Abb. 3 (a + b): Norbertine von Bresslern-Roth: Detail der ursprünglich erhaltenen ungefirnissten Originaloberfläche (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).

Abb. 4 (a): Auf einem ursprünglich ungefirnissten Ölgemälde von Norbertine von Bresslern-Roth erfolgte statt einer Reinigung ein Firnisauftrag im Zierrahmen. Dadurch wurde die Ursprungsintention der Künstlerin verfälscht. (Abb.: Autor).

Abb. 4 (b): Auf einem ursprünglich ungefirnissten Ölgemälde erfolgte statt einer Reinigung ein Firnisauftrag im Zierrahmen. Dadurch wurde die Ursprungsintention des Gemäldes verfälscht. (Abb.: Autor).
Dipl.-Rest. Dr. Paul-Bernhard Eipper
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