Der Kreisarchäologe Dr. Ludwig Kreiner schrieb seinerzeit über die Auffindung des seltsamen Objekts: "Den Archäologen gelangen in ihren Ausgrabungen in Aufhausen sensationelle Entdeckungen: so fanden sie 1997 ein 6000 Jahre altes Gefäß in der Form eines Menschen, die sog. Venus von Aufhausen. Dieses Kult-Gefäß ist bisher in Europa ein einzigartiger Fund." [i]
Andere berichten allerdings über das seltsame Ding, es sei von Hobbyarchäologen gefunden worden. [ii]
Einige Autoren bemerkten dort, wo bei Vergleichsfiguren das Schulterbein verortet werden müsste, sogar ein Gesicht, allerdings ohne Mund. Nun, ich kann weder ein Gesicht, noch zwei Beine, geschweige denn breite Hüften erkennen. Und wenn auf dem Objekt tatsächlich ein Gesicht zu sehen sein soll, dann müssten unsere Vorzeitmenschen das Gesicht über ihrem Hinterteil getragen haben.
Die Aufindungssitution und eines der ersten Fotos des Fundes. Wir empfehlen ein Heranzoomen! Fotos: Kreiner
Schnell wurde "das Gefäß" von Kreiner auf 6.000 Jahre datiert und zur "Sensation" erklärt. Auf einer kürzlichen Pressekonferenz, in der das Verschwinden des Originals bekanntgegeben wurde, sprachen der Dingolfinger Landrat Heinrich Trapp (SPD) und Kreisarchäologe Florian Eibl davon, dass es sich bei der "Venus von Aufhausen" um einen "der wichtigsten archäologischen Funde Bayerns aus den vergangenen 25 Jahren" gehandelt habe. Wir haben also ein nicht mehr auffindbares, scheinbar abhanden gekommenes Objekt, das zur "Venus" erklärt wurde, von dem nur noch dessen zwei Repliken existieren, ein angebliches Alter, und eine Wertung als Sensation. Wo ist der Grabungsbericht, wer waren die Finder - ausgebildete Archäologen oder doch eher Hobbyarchäologen? Vergleichsobjekte sind mal wieder, wie schon bei der Nebrascheibe oder den plumpen Fälschungen von Bernsdorf, nicht bekannt. Ich fürchte, es handelte sich hierbei weder um eine Venus (also nicht um eine Figur), noch um ein Trink- oder Weihegefäß (das hätte ja dicht sein müssen), noch um eine echte Sensation, sondern (wenn nicht um ein doch sehr fragwürdiges Original) um eine Fehlproduktion. MSN oder SAT.1 Bayern schreiben sogar: "Die Venus von Aufhausen ist ein Trinkgefäß aus der Steinzeit." Wie kann eine Venus ein Trinkgefäß sein? Wer trank denn aus einer Venus? Das könnte nur jemand erklären und anschließend behaupten, der beim eigentlichen Vorgang dabei war. Vorsichtigere Wissenschaftler sprechen deswegen von einem "anthropomorphen Weihegefäß" der "Münchshöfener Kultur".
"Innerhalb dieser Kultur sind durchaus ein paar therio- und anthropomorphe Gefäße bekannt: "Eine Besonderheit im Fundgut der Münchshöfener Kultur sind die wenigen bisherigen Nachweise von anthropomorpher und zoomorpher Plastik. Dazu gehört ein Tiergefäß in Rindergestalt aus Geiselhöring (Böhm 1985) oder der “Hochzeitsbecher” aus Murr, auf dessen Wandung ein Figurenpaar und auf dem Boden eine einzelne Figur in geometrischen Dreiecksformen eingeritzt sind (Neumair 1996). Beziehungen zu den zeitgleichen südöstlichen Kulturen zeigt die bislang einzige vollständige Tonfigur [sic], die sog. “Venus von Aufhausen” (Kreiner / Pleyer 1999). Fragmente weiterer Idole fanden sich in Haidlfing, Lkr. Dingolfing-Landau (Petrasch/Schmotz 1989) und in Murr (Neumair 1995)." [iii]
Soweit ich das beurteilen kann, gibt es seit der Erstveröffentlichung [iv] zum Objekt kaum kritische wissenschaftliche Veröffentlichungen. Das alleine sollte schon aufmerken lassen. Für den obersten bayerischen Vor- und Frühgeschichtler, Torsten Gebhard, hat das Objekt anscheinend überhaupt keine Bedeutung, er vertritt die Auffassung, "sowas" (!) entwende niemand. Eine Ausnahme bilden zwei Veröffentlichungen in einem Tagungsband von 2010.
In Bernd Engelhards Arbeit "ANTHROPOMORPHE UND ZOOMORPHE DARSTELLUNGEN DES 5. JAHRTAUSENDS V. CHR. AUS DEM SÜDÖSTLICHEN BAYERN" [v] geht der Verfasser, neben anderen schwer nachvollziehbaren Interpretationen von Fragmenten, wie folgt auf den Fund ein:
Anthropomorphe Darstellungen der Münchshöfener Kultur
Aufhausen, Markt Eichendorf, Lkr. Dingolfing-Landau (Abb. 6)
Seit 1988 untersucht L. Kreiner im Osten von Aufhausen ein großes Gewerbegebiet. 1997 legte er hier eine noch 0,9 m tiefe birnenförmige Vorratsgrube frei, die im Planum einen Durchmesser von 1,3 m und an der flachen Sohle von 2,1 m besaß. 21
Nahe der Sohle fanden sich längs der Grubenwand Knochen von Schaf oder Ziege, Rind, Hirsch und Reh sowie Fragmente von Hirsch und Rehgeweihen. Aus der Grubenverfüllung stammen nur wenige Scherben. Nahe der Grubensohle jedoch stießen die Ausgräber auf große Scherben eines Vorratsgefäßes und darunter dann auf ein anthropomorphes Gefäß. Das röhrenartige, im Durchmesser leicht ovale Gefäß ist 31,8 cm hoch. Unmittelbar unter dem gekerbten, leicht ausbiegenden Rand erkennt man eine sehr abstrahierte Gesichtsdarstellung. Ein schmaler, an das Gefäß angarnierter Tonwulst stellt die Nase dar, zwei runde, flache Einstiche markieren die Augen und zwei kleine, aus dem Ton herausgekniffene Wülste stehen für die Ohren. Ein Mund fehlt. Der Körper besitzt eine ungegliederte Röhrenform und bildet zum Unterleib hin amorphe Auswölbungen,in denen man eine Andeutung von Gesäß und Hüften erkennen könnte. Die Beine bestehen aus zwei getrennten Röhren mit der Andeutung von Knien und sind an den Füßen durch einen Steg miteinander verbunden. Vergleichsstücke wurden aus Bayern bisher nicht bekannt….
In die Münchshöfener Kultur gehören, wie oben ausgeführt, das anthropomorphe Gefäß von Aufhausen, das Tiergefäß von Geiselhöring und der Becher oder wohl doch besser der Schöpfer von Murr. Dem anthropomorphen Gefäß von Aufhausen, wegen seiner ungeschlachten Form scherzhaft „Uhu von Aufhausen“ genannt, lässt sich aus dem Lengyelbereich so recht kein Vergleichsstück an die Seite stellen."
Dabei liest der Verfasser in das plumpe Objekt etwas hinein, was sich an Vergleichsobjekten aus der Lengyelkultur orientiert: eine Ähnlichkeit mit der Frauenstatuetten von Falkenstein-Schanzboden und von Eggendorf am Wald.
Allerdings wird dabei übersehen,
- dass diese Vergleichsobjekte klar erkennbare Armansätze haben und sich oberhalb der Schulter ein langer Hals und ein Köpfchen erhob und
- dass Brustandeutungen, Schamdreieck und die Gestaltung des Hinterteils bei beiden Vergleichsbeispielen absolut klar sind, während man dies von der sog. Aufkirchener Venus nicht sagen kann.
- Beweise für die These einer "lokalen Anfertigung" unter weiträumig entfernten Einflüssen werden nicht vorgebracht.
Ich halte es für Archäomystik oder Wunschdenken, diesen dreigeteilten Hohlkörper als eine Frauenfigur oder gar ein Frauenfigurgefäß zu interpretieren. Sicherlich sind die Beifunde (ein Gefäß, Geweih- und Knochenreste) interessant und die Fundzusammenhang möglicherweise semantisch bedeutend, doch ist das Objekt selbst grob, unverziert und ausdruckslos. In seiner Oberfläche erreicht es die Feinheit des keramischen Beifunds nicht. Die Datierung erfolgte anscheinend lediglich durch den keramischen Beifund und stilistisch durch die reichlich unpassenden Vergleiche mit Objekten der Lengyelkultur, sonst hätte man die nicht nur möglichen, sondern sogar angesagten naturwissenschaftlichen Datierungsergebnisse aus der Zeit zwischen 1988 und 2010 (!) wohl veröffentlicht und zitiert. Ohne eine Spur von Zweifel schreibt Heiner Schwarzberg im gleichen 28. Vortragsband, 22 Jahre nach dem Fund:
"Chronologisch kann die Gefäßfigurine von Aufhausen einer späten Phase der Münchshöfener Kultur zugeordnet werden, die etwa Lengyel III in Mähren, Ludanice in der Südwestslowakei, Bodrogkeresztúr in der Ostslowakei und Ostungarn sowie Balaton-Lasinja in Westungarn, Kroatien und Bosnien entspricht. L. Kreiner und R. Pleyer weisen dabei besonders auf die zeitgleichen Funde von Wallerfang, Lkr. Deggendorf, hin, die Balaton-Lasinja-Anklänge erkennen lassen. 20 L. Kreiner u. a. 21 führen das lokal gefertigte Stück auf Einflüsse aus dem Theißgebiet zurück, da im Lengyel-Umfeld nur wenige anthropomorphe Gefäße bekannt sein sollen." [vi]
Vergleichsobjekte der Lengyelkultur. Quelle: 28. Niederbayerischer Archäologentag
Eine naturwissenschaftliche Datierung sollte vor allem dann, wenn man meint, es würde sich um ein sensationelles Objekt handeln, unbedingt dazugehören. Sonst könnte sich der Eindruck einstellen, man fürchte den Nachweis einer Falsifikatseinschleppung in die Grabung, wie etwa im Fall von Bernsdorf. Als das Objekt seinerzeit in die Archäologische Staatssammlung kam, um dort eine Replik herstellen zu lassen, hätte man das Sensationsobjekt unbedingt mit einem TL-Test untersuchen lassen müssen. Ansonsten kann man nur mit Torsten Gebhard hoffen, dass sich der merkwürdige Hohlkörper in irgendeiner Asservatenkammer wiederfindet, und sich durch die Arbeit kritischer Wissenschaftler die "birnenförmige Vorratsgrube" (so Engelhard) sich nicht eines Tages als birnenförmige Abfallgrube erweist.
Anmerkungen
[i] Archäologie in Aufhausen, http://www.aufhausen-ndb.de/?page_id=9 sowie http://alt.aufhausen-ndb.de/do_hamma_her/do_hamma_her.html
[ii] Andreas Glas: Die verschlampte Venus. In SZ v. 16./17. 11.2019, S. R14: "Nahe Aufhausen finden Hobbyarchäologen ein Gefäß in Menschenform. Zwei Beine, breite Hüften."
[iii] Monika Schwarz: Die Münchshöfener Kultur, seit 2006 online unter http://www.donau-archaeologie.de/doku.php/kulturen/munchshofen
[iv] L. Kreiner/R. Pleyer, Die „Venus von Aufhausen“ – Ein besonderes Gefäß der Münchshöfener Kultur. In: K. Schmotz (Hg.): Vorträge des 17. Niederbayerischen Archäologentages. Rahden/Westf. 1999, S. 55–69 sowie L. Kreiner/R. Pleyer: Ein anthropomorphes Gefäß der Münchshöfener Kultur aus Niederbayern. In: Bayer. Vorgeschbl. 64, 1999, S. 363-398
[v] In: Vorträge des 28. Niederbayerischen Archäologentages. Rahden/Westf.2010, S. 74-84
[vi] Heiner Schwarzenberg: Zur Abbildung von Gesicht und menschlichen Körper auf der Gefäßkeramik des 6. und 5. Jahrtausends v. Chr. in Süddeutschland. In: ebd.