Stehengelassene Grundierung
Stehengelassene Grundierung
Die Grundierung hatte immer auch die Aufgaben den Untergrund zu glätten, die Textur des Untergrundes zu dämpfen und eine Verankerung der Malschichten auf dem Träger zu gewährleisten.
Zumeist handelt es sich bei einer Grundierung nördlich der Alpen um einen Leim/Kreidegrund und südlich der Alpen mehrheitlich um Leim/Bologneser Kreidegrund (totgerührter Gips) bisweilen mit (veränderlichen) Öl- und Pigmentanteilen. Die Grundierung muss also nicht immer weiß sein!
Oft haben Maler den Farbton der Grundierung in ihr Bild miteinberechnet. Während wir bei Michelangelo noch partielle umbra eingefärbte Untermalungen auf der Grundierung nur unterhalb von Inkarnatpartien finden, haben wir im Barock mehrheitlich satt rötliche eingefärbte Grundierungsmassen, welche realistische Fleischtöne evozieren. Im Klassizismus bevorzugte man eher kühle, grau eingefärbte Grundierungsmassen, um bei Hauttönen eine vornehme Blässe zu erzeugen. Ab circa 1850, vor allem ab der Einführung der industriell grundierten Leinwände, dominiert der universelle weiße Kreidegrund. Alle diese Gemälde hatten einen Firnisüberzug um die Oberfläche zu schützen aber auch um der Farbe Tiefe zu verleihen.
Sah man seit der Gotik sichtbare Grundierung als maltechnischen Fehler an, wird in den vergangenen 150 Jahren das stehenlassen der Grundierung zum stilbildenden Mittel. Natürlich gibt es immer, neben Ausnahmen von der Regel auch ein nebeneinander von verschiedenen Malauffassungen. Die Impressionisten nutzten das Durchblitzen des weißen Kreidegrund für ihre lichtvollen Landschaften um heiter, luftige Wirkungen von strahlenden Sonnen tagen zu erreichen.
Auch bei Egon Schiele finden wir neben ungefirnissten Oberflächen magere, einfache Kreidegrundschichtaufträge, welche einen noch poröseren Malgrund erzeugen, welchen er teilweise stehen ließ.
Norbertine von Bresslern-Roth, von der wir eine größere Personale am Universalmuseum Joanneum 2016 zeigen, bevorzugt eine freskale Wirkung ihrer Malschichtoberflächen, sie entspricht so durchaus dem Mainstream ihrer Zeit, der auch beispielsweise bei manchen Werken von Otto Dix oder noch bei den Baum- und Kieselgurbildern von Albert König zwischen 1931 und 1940 erkennbar ist. Die grobe Textur des Jutegewebes und der magere, starksaugende Kreidegrund der Grundierung und ihr magerer Farbauftrag unterstreicht diese Wirkung.
In der zeitgenössischen Kunst dominieren die Acrylgründe, die Künstler lassen diese gerne stehen, auch um mit dem Unterschied zwischen glänzenderen Ölfarben und mattem Grund zu spielen.
Für die Restauratoren bergen diese Malweise größere Schwierigkeiten: verschiedene Medien in einem Objekt führen zu verschiedenen Spannungen im Gefüge, unterschiedlicher Verschmutzung, unterschiedlicher Vergilbung. Unterschiedliche Löseparameter können die Reinigung erschweren oder die Reinigungsergebnisse zumindest limitieren, weshalb angeraten wird Gemälde mit stehen gelassenen Acrylgründen zu verglasen.
Werden ungefirnisste, beispielsweise impressionistische Bilder mit stehengelassener Grundierung gefirnisst, saugt sich die Grundierung mit Firnis voll und vergilbt, was den vom Künstler intendierten Eindruck negiert.
Prinzipiell sollten Gemälde nur mit Handschuhen berührt werden: auf den empfindlichen Oberflächen ist Schmutz sofort sichtbar und nur schwer wieder zu entfernen.
Abb. 1: Michelangelo Buonarroti (1475–1564): „Maria mit Jesus- und Johannesknaben (Madonna Manchester)“, unvollendet, um 1497, Tempera/Holz, mit partieller Untermalung bei Inkarnatpartien auf weißer Grundierung (Abb.: National Gallery, London; wikimedia commons).
Abb. 2: Carlo Innocenzo Carlone: „Verherrlichung eines Fürsten“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 576, Universalmuseum Joanneum. Detail: die grundierte Leinwand wurde um die Malerei herum nicht bearbeitet. Malkante mit Pinselabstrich (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).
Abb. 3: Pietro Damini: „Madonna mit Heiligen“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 14, Universalmuseum Joanneum. Detail: Malkante, die grundierte Leinwand wurde um die Malerei herum nicht bearbeitet, der Maler war sich des vorgegebenen Ausschnittes des Zierrahmens bewusst (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).
Abb. 4: Franz Sigrist d. Ä.: „Anbetung des Christkindes in der Krippe“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 204, Universalmuseum Joanneum. Detail: stehengelassene Grundierung. Rechts vom Kopf des Jesuskindes ist nicht abgedeckte ocker-rötliche Grundierung sichtbar. Hier hat die Grundierung gestalterische Funktion (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).
Abb. 5: Unvollendetes Portrait auf weißer Grundierung (Abb. Autor/Universalmuseum Joanneum).
Unvollendetes Portrait auf weißer Grundierung (Abb. Autor/Universalmuseum Joanneum).
Abb. 7: Norbertine von Bresslern-Roth: Tiere der Antarktis, 1937, Öl/Jute, NG Inv.-Nr. 2783: Stehengelassene Grundierung zwischen den einzelnen Farbbereichen. (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).
Abb. 8: Zeitgenössisches Gemälde: auf den empfindlichen Oberflächen ist Schmutz sofort sichtbar: Fingerabdrücke am oberen Bildrand (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).
Dipl.-Rest. Dr. Paul-Bernhard Eipper
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paulbernhardeipper@gmail.com
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