Gemäldeumschlagkanten
Im Zierrahmenfalz finden sich oft Hinweise verborgen, die uns Anhaltspunkte zur Entstehung und zum Werkprozess eines Bildes geben. Früher haben mehr Maler als heute ihre Gemäldeleinwände selbst vorbereitet, aufgespannt und grundiert. Im vom Zierrahmen verdeckten Randbereich finden sich Informationen, die Kopisten und Fälscher nicht haben.
Die Grundierung soll den Untergrund glätten, die Textur des Untergrundes dämpfen und eine Verankerung der Malschichten auf dem Träger gewährleisten. Meist haben Künstler die Gewebe erst im aufgespannten Zustand grundiert. Aber es gibt auch vor dem Aufspannen grundierte Leinwände. Oder auch fertig gemalte Gemälde, welche vor dem Aufspannen zunächst auf einen passenden Ausschnitt hin passend geschnitten wurden. Das trifft besonders auf viele Pleinair-Skizzen zu.
Norbertine von Bresslern-Roth, Österreichs bedeutendste Tiermalerin, grundierte Ihre Bilder stets im aufgespannten Zustand selbst, da sich die zuvor ungewaschenen Trägergewebe beim Trocknen der flüssig aufgebrachten Grundierung straff spannen. In der zeitgenössischen Kunst dominieren Acrylgründe, die auf Rollen aber auch in genormten Größen angeboten werden. Meist handelt es sich hier um beschichtete Gewebe, was man daran erkennt, daß die Grundierung auf dem Gewebe aufliegt und das Gewebe nicht durchdringt. Heutige Künstler erwerben zumeist genormte Formate, wo die fertig grundierten Leinwände bereits auf dem Keilrahmen aufgespannt ist.
Eine in ihrem ursprünglichen Zustand erhaltene Umschlagskante ist ein Indiz dafür, daß das Gemälde nicht beschnitten wurde, d.h. in seinen Ausmaßen nicht verändert wurde. Dies war bei früheren Restaurierungsmaßnahmen durchaus üblich; man schnitt Gemälde häufig einfachheitshalber vom Spannrahmen und verkleinerte sie dadurch beim Neuaufspannen, da man ja wieder Material für den Umspann benötigte. Dabei veränderte sich auch das Innenmaß der Zierrahmen, weshalb die originalen Rahmen bei dieser Prozedur zumeist verschwanden und durch modischere Rahmen ersetzt wurden.
Zu den herstellungsgeschichtlich relevanten Prozesse gibt uns der Umschlag eines Gemäldes also genauso wertvolle Hinweise, wie auch zur Geschichte des Gemäldes selbst. Zumeist aber sind diese maltechnischen Details jedoch durch den Zierrahmen für unsere Augen verborgen, weshalb diese beim Anfertigen von Kopien oder Fälschungen zumeist außeracht gelassen werden. Für den Maltechniker sind die Umschläge hingegen extrem wichtig, da diese unsichtbaren Details Geschichten erzählen können, die geradewegs in die Werkstatt des Künstlers führen und darüber hinaus Indizien über die Biografie eines Gemäldes bereithalten.
Abb. 1: Original erhaltener Leinengewebe-Umspann mit ursprünglicher Aufnagelung. Foto: Autor
Abb. 2: Original erhaltener Leinengewebe-Umspann mit ursprünglicher Aufnagelung. Foto: Autor
Abb. 2a: Der Umschlag zeigt die Malkante eines selbstaufgespannten und grundierten Jutegewebes von Norbertine von Bresslern-Roth. Foto: Autor
Abb. 3: Der Umschlag zeigt die Malkante eines verworfenen, andersfarbigen, leicht verkleinerten Gemäldes auf Leinen, das unter einem Gemälde von Norbertine von Bresslern-Roth liegt. Dieses liegt in seiner zweiten Aufnagelung vor. Foto: Autor
Abb. 4: Der Umschlag zeigt die Malkante eines verworfenen, andersfarbigen, leicht verkleinerten Gemäldes auf Leinen, das unter einem Gemälde von Norbertine von Bresslern-Roth liegt. Dieses liegt in seiner zweiten Aufnagelung vor. Foto: Autor
Abb. 5: Der Umschlag zeigt die Malkante eines verworfenen, andersfarbigen, leicht verkleinerten Gemäldes auf Leinen, welches unter einem Gemälde von Norbertine von Bresslern-Roth liegt. Dieses liegt in seiner zweiten Aufnagelung vor. Foto: Autor
Abb. 6: Original erhaltener Umspann mit ursprünglicher Aufnagelung. Das Gemälde wurde nach seiner Fertigstellung beschnitten und vom Künstler aufgespannt . Foto: Autor
Abb. 7: Zeitgenössisches Leinengewebe, das vom Künstler selbst grundiert wurde, nachdem es aufgespannt wurde. Foto: Autor
Abb. 8: Zeitgenössisches Leinengewebe, das vom Künstler selbst grundiert wurde, nachdem es aufgespannt wurde. Foto: Autor
Dipl.-Rest. Dr. Paul-Bernhard Eipper
paulbernhardeipper@gmail.com
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