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Pentimenti

Pentimenti

Schon immer haben Künstler ihre Gemälde während des Malprozesses optimiert und sich über ihre Vorzeichnung und ursprünglich beabsichtigte Ausführung hinweg gesetzt. Pentimenti auf Gemälden können als Echtheitsindiz gelten. Diese späteren Korrekturen belegen wie der Maler mit dem Sujet gerungen hat. Diese gedanklichen Leistungen finden sich bei Kopien oder Fälschungen in der Regel nicht und wenn dann belegen sie zumeist eine andere Handschrift als die des kopierten bzw. gefälschten Künstlers wodurch sie wiederum leichter als Kopien, oder Fälschungen zu entlarven sind.

Das Wort Pentimenti wird vom Italienischen Wort pentimento hergeleitet und bedeutet pentimento, „Reue“. Es ist eine Bezeichnung für die Spuren die erkennen lassen, dass während der Produktion Veränderungen am Bild vorgenommen wurden. Dies stellt eine durchaus nicht ungewöhnliche Arbeitsweise dar. Die Übermalungen werden aufgrund der zunehmenden Transparenz der Farbschichten im Laufe der Alterung erkennbar, man kann sie auch mit Hilfe von Röntgenuntersuchungen nachweisen. Sie stellen eine wesentliche Quelle für die Konservierungs-, Restaurierungs- und Kunstwissenschaften dar, indem sie den Arbeitsprozess eines Künstlers zeigen.[1] 

In der Kunstgeschichte begegnen uns einige solcher Beispiele, so auch an Alter und Neuer Galerie am Universalmuseum Joanneum in Graz. 

Bei dem Gemälde Giuseppe Passeris: „Maria in der Glorie mit Joachim und Anna“, Öl/Leinen, AG Inv.- Nr. 966, finden wir ein Pentimenti: der Flügel des Engels links zeigte ursprünglich in Richtung Blütenkranz. Der Maler veränderte durch Stellen des Flügels nachträglich die Komposition des Bildes. Durch die stärkere Farbdicke können wir die Umarbeitung heute sehen.

Bei Egon Schieles: Stadtende/Häuserbogen III, Öl/Leinen, NG Inv. Nr. I/466, liegen zwei Portraits unter dem heute sichtbaren Gemälde von 1918. Die Grundarchitektur des Gemäldes, ein „L“-förmiger Bogen, orientiert sich an den Armen des sitzend portraitierten Heinrich Benesch. Zuvor verwendete Schiel das Bild also hochkant, wie auch die durchgeschlagene Portraitskizze auf der Rückseite des Gemäldes zeigt. Bei diesem Gemälde kann man nicht nur von einem Pentimenti sprechen: unter der Stadtansicht liegen zwei Portraitskizzen. Das Gemälde bewegt sich mit diesem maltechnischen Aufbau durch die Portraits zwischen Weiterverwendung zweier verworfener Portraitskizzen, Pentimenti, Vorzeichnung und Übermalung zum bestehenden Bild.

Bei Maria Lassnigs Gemälde, „Vorschlag für eine Plastik“, Öl/Leinen, 1966/67, NG Inv.-Nr. 1533, befindet sich unter dem Gemälde ein teilverworfenes Weiteres. Bevor sie das Gemälde um 180° herumdrehte, versah sie die zu verwerfende Partie mit einem Malhinweis mit Kugelschreiber: „rote Figur wegnehmen“. Nach der Übermalung mit einer nicht ganz deckenden Farbe wurde dieser Gedächtnishinweis heute kopfüber sichtbar.

Pentimenti gewähren Einblicke in die Genese eines Werkes und auch in die Arbeitsweise eines Künstlers. Sie sind wichtige Indizien für den Entstehungsprozess eines Werkes und sollen nicht überretuschiert werden.

  

Abb.1: Giuseppe Passeri (AG Inv. Nr. 966): „Maria in der Glorie mit Joachim und Anna“. Detail mit einem Pentimenti: der Flügel des Engels links zeigte ursprünglich in Richtung Blütenkranz. (Abb.: Autor).

 

Abb. 2: Egon Schiele: „Stadtende/Häuserbogen III“, Öl/Leinen, NG Inv.-Nr. I/466 (Abb. Nicolas Lackner, UMJ).

 

Abb. 3: Egon Schiele, Detail aus „Stadtende/Häuserbogen III“, 1918, gekippt: Das Portrait Heinrich Beneschs wird sichtbar. (Abb. Nicolas Lackner, UMJ).

 

Abb. 4: Bei Maria Lassnig (1919-2014), „Vorschlag für eine Plastik“, Öl/Leinen, 1966/67, NG Inv.-Nr. 1533 (Abb.: Autor).

 

Abb. 5: Maria Lassnig, „Vorschlag für eine Plastik“, Detail mit Malhinweis der Künstlerin (heute kopfüber) mit Kugelschreiber: „rote Figur wegnehmen“ (Abb.: Autor).

Anmerkungen:

Stehengelassene Grundierung

Stehengelassene Grundierung

Die Grundierung hatte immer auch die Aufgaben den Untergrund zu glätten, die Textur des Untergrundes zu dämpfen und eine Verankerung der Malschichten auf dem Träger zu gewährleisten.

Zumeist handelt es sich bei einer Grundierung nördlich der Alpen um einen Leim/Kreidegrund und südlich der Alpen mehrheitlich um Leim/Bologneser Kreidegrund (totgerührter Gips) bisweilen mit (veränderlichen) Öl- und Pigmentanteilen. Die Grundierung muss also nicht immer weiß sein!

Oft haben Maler den Farbton der Grundierung in ihr Bild miteinberechnet. Während wir bei Michelangelo noch partielle umbra eingefärbte Untermalungen auf der Grundierung nur unterhalb von Inkarnatpartien finden, haben wir im Barock mehrheitlich satt rötliche eingefärbte Grundierungsmassen, welche realistische Fleischtöne evozieren. Im Klassizismus bevorzugte man eher kühle, grau eingefärbte Grundierungsmassen, um bei Hauttönen eine vornehme Blässe zu erzeugen. Ab circa 1850, vor allem ab der Einführung der industriell grundierten Leinwände, dominiert der universelle weiße Kreidegrund. Alle diese Gemälde hatten einen Firnisüberzug um die Oberfläche zu schützen aber auch um der Farbe Tiefe zu verleihen.

Sah man seit der Gotik sichtbare Grundierung als maltechnischen Fehler an, wird in den vergangenen 150 Jahren das stehenlassen der Grundierung zum stilbildenden Mittel. Natürlich gibt es immer, neben Ausnahmen von der Regel auch ein nebeneinander von verschiedenen Malauffassungen. Die Impressionisten nutzten das Durchblitzen des weißen Kreidegrund für ihre lichtvollen Landschaften um heiter, luftige Wirkungen von strahlenden Sonnen tagen zu erreichen.

Auch bei Egon Schiele finden wir neben ungefirnissten Oberflächen magere, einfache Kreidegrundschichtaufträge, welche einen noch poröseren Malgrund erzeugen, welchen er teilweise stehen ließ.

Norbertine von Bresslern-Roth, von der wir eine größere Personale am Universalmuseum Joanneum 2016 zeigen, bevorzugt eine freskale Wirkung ihrer Malschichtoberflächen, sie entspricht so durchaus dem Mainstream ihrer Zeit, der auch beispielsweise bei manchen Werken von Otto Dix oder noch bei den Baum- und Kieselgurbildern von Albert König zwischen 1931 und 1940 erkennbar ist. Die grobe Textur des Jutegewebes und der magere, starksaugende Kreidegrund der Grundierung und ihr magerer Farbauftrag unterstreicht diese Wirkung.

In der zeitgenössischen Kunst dominieren die Acrylgründe, die Künstler lassen diese gerne stehen, auch um mit dem Unterschied zwischen glänzenderen Ölfarben und mattem Grund zu spielen.

Für die Restauratoren bergen diese Malweise größere Schwierigkeiten: verschiedene Medien in einem Objekt führen zu verschiedenen Spannungen im Gefüge, unterschiedlicher Verschmutzung, unterschiedlicher Vergilbung. Unterschiedliche Löseparameter können die Reinigung erschweren oder die Reinigungsergebnisse zumindest limitieren, weshalb angeraten wird Gemälde mit stehen gelassenen Acrylgründen zu verglasen.

Werden ungefirnisste, beispielsweise impressionistische Bilder mit stehengelassener Grundierung gefirnisst, saugt sich die Grundierung mit Firnis voll und vergilbt, was den vom Künstler intendierten Eindruck negiert.

Prinzipiell sollten Gemälde nur mit Handschuhen berührt werden: auf den empfindlichen Oberflächen ist Schmutz sofort sichtbar und nur schwer wieder zu entfernen.

 

Abb. 1: Michelangelo Buonarroti (1475–1564): „Maria mit Jesus- und Johannesknaben (Madonna Manchester)“, unvollendet, um 1497, Tempera/Holz, mit partieller Untermalung bei Inkarnatpartien auf weißer Grundierung (Abb.: National Gallery, London; wikimedia commons).

 

Abb. 2: Carlo Innocenzo Carlone: „Verherrlichung eines Fürsten“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 576, Universalmuseum Joanneum. Detail: die grundierte Leinwand wurde um die Malerei herum nicht bearbeitet. Malkante mit Pinselabstrich (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).

 

Abb. 3: Pietro Damini: „Madonna mit Heiligen“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 14, Universalmuseum Joanneum. Detail: Malkante, die grundierte Leinwand wurde um die Malerei herum nicht bearbeitet, der Maler war sich des vorgegebenen Ausschnittes des Zierrahmens bewusst (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).

Abb. 4: Franz Sigrist d. Ä.: „Anbetung des Christkindes in der Krippe“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 204, Universalmuseum Joanneum. Detail: stehengelassene Grundierung. Rechts vom Kopf des Jesuskindes ist nicht abgedeckte ocker-rötliche Grundierung sichtbar. Hier hat die Grundierung gestalterische Funktion (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).

 

 Abb. 5: Unvollendetes Portrait auf weißer Grundierung (Abb. Autor/Universalmuseum Joanneum).

Unvollendetes Portrait auf weißer Grundierung (Abb. Autor/Universalmuseum Joanneum).

  

Abb. 7: Norbertine von Bresslern-Roth: Tiere der Antarktis, 1937, Öl/Jute, NG Inv.-Nr. 2783: Stehengelassene Grundierung zwischen den einzelnen Farbbereichen. (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).

 

Abb. 8: Zeitgenössisches Gemälde: auf den empfindlichen Oberflächen ist Schmutz sofort sichtbar: Fingerabdrücke am oberen Bildrand (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).

Dipl.-Rest. Dr. Paul-Bernhard Eipper
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Firnis auf Gemälden

Manche  Besucher stören sich daran, andere nicht. Der Firnis spaltet seit jeher die Gemüter.  Früher war es aber durchaus üblich, allen gemalten Oberflächen einen Überzug zu applizieren. Der Firnisüberzug sollte die Oberfläche nicht nur schützen sondern auch den Farben Tiefe verleihen. Bestimmte Gemälde (alte niederländische-, barocke -) brauchen also, um überhaupt wirken zu können, einen Firnis. Bis zum 19. Jh. wurden in der Regel Leinölfirnisse verwendet. Diese Überzüge vergilbten sehr stark und brachten aufGrund ihrer hohen Affinität zu Ölfarben zum Teil sehr große Probleme bei der Abnahme mit sich, wovon Tausende verputzte Gemälde noch heute Zeugnis ablegen. Nach dem Erscheinen des Buches „Anleitung zur Restauration alter Oelgemälde“, im Jahr 1828, verfasst vom  Apotheker  Friedrich Gottfried Hermann Lucanus (*3.12.1793-23.5.1872) setzten sich dann die leichter abnehmbaren Harzfirnisse mehrheitlich durch. Aber auch diese Naturharze vergilben mit der Zeit, weshalb auch sie dann und wann abgenommen werden und durch neue ersetzt werden. Der Mattfirnis jedoch ist ein Kind der 70 er Jahre: Er ist ahistiorisch und hat auf älteren Gemälden  nichts verloren.

Längst nicht alle Gemälde haben einen Überzug: Begonnen hatte diese Entwicklung 1831 mit Eugène Delacroix’ Gemälde: „Die Freiheit auf den Barrikaden“, welches er auf dem Pariser Salon ohne Firnis ausgestellt hatte, was ihm als Verstoß gegen maltechnische Regularien und als Ablehnung des akademischen Diktats angelastet wurde.  Ihm folgte Anselm Feuerbach mit seiner Weigerung, einen Firnis auf seine Bilder zu applizieren, was ihm den Vorwurf einer „kalkigen“ Malerei einbrachte. Bei Schiele ging die Entwicklung der ungefirnissten Oberfläche noch weiter: Er hat mit mageren, einfachen Kreidegrundschichtaufträgen einen noch viel poröseren Malgrund erzeugt, welchen er teilweise stehen ließ. Pierre Louis Bouvier hatte in seinem Handbuch der Ölmalerei von 1895 ebenfalls einen Firnisverzicht propagiert.  Auch bei van Gogh, Deusser, Marc, Macke, Munch, den französischen Impressionisten und Expressionisten etc. ist diese Auffassung vertreten. Nichtsdestotrotz finden sich heute von Restauratorenhand  also nach der Entstehung der Gemälde  aufgetragene Firnisse auf Werken von Heckel, Kirchner, Nolde, Schmidt-Rottluff etc., während die Leimfarbenmalerei auf Jute von Otto Müller mehrheitlich davon verschont blieb.

Auch die maltechnische Auffassung der bedeutendsten Tiermalerin Österreichs, Norbertine von Bresslern-Roths entspricht ihrer Zeit: Sie lehnt dezidiert einen Firnisauftrag ab, und so sind von ihr nur sehr wenige Gemälde mit einem Firnisauftrag überliefert. Bei allen diesen Gemälden ist der Firnis übrigens eine spätere Zutat, der erst aufgetragen wurde, als sich die Gemälde bereits im Zierrahmen befanden. Das Käthchen von Heilbronn, 1918, nimmt eine Sonderstellung bei Norbertine von Bresslern-Roth ein: Auf einer mager industriell grundierter Leinwand führte sie eine Temperamalerei aus, die sie teilweise überfirnisst. Auf dieser Firnisschicht liegen wiederum partielle matte Temperafarbschichten, welche wiederum einige Ölfarbenhöhungen tragen. Hier spielt und ringt die Malerin mit verschiedenen Glanz- und Mattstufen der Malschichtoberfläche. 2016 zeigt das  Universalmuseum Joanneum in Graz eine umfassende Personale dieser Malerin.

Fazit: ungefirnisste Gemälde dürfen also keinesfalls  gefirnisst werden. Der Firnisauftrag auf Gemälden erfolgte unter Berufung auf eine weit verbreitete „konservatorische Maßnahme“: In den letzten beiden Jahrhunderten ging man irrigerweise davon aus, dass Bilder mehrere Jahren nach ihrer Entstehung „genährt“ werden müssten, um eine Craquelé-Bildung zu vermeiden. Leider wird diese obsolete Praxis mitunter auch heute noch praktiziert, obwohl längst bekannt ist, dass Klimaschwankungen für die Craquelé-Bildung verantwortlich sind. Manche Restauratoren waren und sind leider bis heute auch beim „Reinigen“ besonders schnell: Sie applizier(t)en einfach auf eine originale, ungefirnisste, verschmutzte Oberfläche einen Firnis, zumeist ohne das Gemälde vorher aus dem Rahmen zu nehmen, und verkauf(t)en das Resultat als „ursprüngliche Frische der Oberfläche“. Bei dieser Maßnahme die künstlerische Ursprungsintention negiert.

  

Abb. 1: Anonym: „Samson und Dalila“, Öl/Leinen, AG Inv.-Nr. 1195, vor der Restaurierung (Abb. Autor/ Universalmuseum Joanneum).

 

Abb. 2: Anonym, „Ansicht eines Hafens“, Öl/Lwd., Detail: während der Firnisabnahme, links vom Schiffsmasten nach Firnisabnahme mit Isopropanol (Abb.: Autor).

 

Abb. 3 (a + b): Norbertine von Bresslern-Roth: Detail der ursprünglich erhaltenen ungefirnissten Originaloberfläche (Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum).

 

Abb. 4 (a): Auf einem ursprünglich ungefirnissten Ölgemälde  von Norbertine von Bresslern-Roth erfolgte statt einer Reinigung ein Firnisauftrag  im Zierrahmen. Dadurch wurde die Ursprungsintention der Künstlerin verfälscht. (Abb.: Autor).

 

Abb. 4 (b): Auf einem ursprünglich ungefirnissten Ölgemälde  erfolgte statt einer Reinigung ein Firnisauftrag  im Zierrahmen. Dadurch wurde die Ursprungsintention des Gemäldes verfälscht. (Abb.: Autor). 

Dipl.-Rest. Dr. Paul-Bernhard Eipper
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Gemälde-Anstückungen

Gemälde-Anstückungen

Textile und hölzerne Bildträger wurden manches Mal schon während der Arbeit durch den Künstler selbst  oder seiner Werkstatt vergrößert. So lohnt es sich bei Leinwand- und Tafelgemälden  genauer hinzusehen. Viele Gemäldeträgerleinwände  wurden schon von Beginn an durch Aneinandernähen verschieden großer Leinwandstücke hergestellt. Da die damaligen Webstühle in der Größe limitiert waren, war dies die einzige Möglichkeit größere Flächengebilde zu erzeugen. Diese aneinandergenähten Leinwände sind leicht daran zu erkennen, dass die Grundierungsschicht gleichmäßig die Nähte überzieht und die Komposition über diese Einzelelemente hinweggeht. Prominente Beispiele liefern uns z. B. Jacob Jordaens[1] oder Diego Velasquez[2] liefert uns einige Beispiele hierzu. Auch Holztafelgemälde wurden, wie es dies z.B. bei Peter Paul Rubens vorkommt, um zu größeren Flächen zu kommen, schon immer aus mehreren Tafelteilen zusammengesetzt.

In der Regel sind die Objekte die uns vorliegen, alle schon einmal von Restauratorenhand bearbeitet und dabei „verfälscht“ wurden. So weisen manche Gemälde nicht nur flächige Ergänzungen sondern auch interpretierende Ergänzungen auf. Besonders interessant wird es aber wenn Gemälde, oft lange nach deren Fertigstellung, von Künstlern oder Restauratoren auf eine neue Bildgröße gebracht wurden um z.B. eine symmetrische Hängung mit gleichen Bildformaten zu ermöglichen.

Diese Verfälschungen gehen in zwei Richtungen: einmal wurden Gemälde kleiner gemacht um sie in größeren Zusammenhängen wie z.B. für Ahnengalerien mit lauter gleichen Formaten  passend zu machen (man sieht dies an bemalten Arealen im Umschlag) oder einfach weil der ausgewählte neue Zierrahmen zu klein war.

Diese Variante der Manipulation der Originalgröße bezeichnet man mit Beschneidung.

Dabei war häufiger nicht die Angleichung der Bildgröße für eine symmetrische Hängung ausschlaggebend, sondern Beschädigungen. Oft wurden Durchstoßungen des Gewebes dadurch behoben, dass man das Gemälde von Vorne vom Spann- bzw. Keilrahmen abschnitt und auch den beschädigten Teil gleich mit abschnitt da man früher die Technik der Rissverschweißung und des Anränderns noch nicht kannte und meist flächig ohne Umschlag doublierte und neu aufspannte. Dadurch verkleinerte sich das ursprüngliche Format zumindest um den Umspann. Oft verloren Gemälde dadurch auch ihre originale Signatur, welche zumeist in den Randbereiche der Gemälde liegen. Beobachtungen der Mal- und  Materialtechnik, vor allem an den Malkanten, sind dabei den Mitteln der Stilkritik objektiv überlegen.

Andererseits wurden Gemälde größer gemacht um sie großzügiger und nicht in einem zu eng bemessenen Rahmen zu präsentieren. Diese Variante der Manipulation der Originalgröße bezeichnet man mit Anstückung. Ob diese original ist oder von späterer Hand durchgeführt wurde, lässt sich zumeist nur durch die Mittel der Stilkritik, der Materialtechnik oder naturwissenschaftlichen Analysen feststellen.

Beide Maßnahmen sind natürlich heute keine gangbare Möglichkeiten mehr. Der Respekt vor dem Kunstwerk verbietet es so zu handeln.

Ist man heute überrascht über soviel Brutalität, so darf man nicht vergessen: in den zurückliegenden Jahrhunderten ging man recht nonchalant mit den Objekten um, selbst Thorvaldsen[3] schlug von den antiken Figuren des Aegineten-Frieses[4] in der Münchener Glyptothek Teile der originalen Skulpturen ab, um seine Ergänzungen mit möglichst geraden Ansatzstellen anzubringen. Die Ergänzungen des berühmten Bildhauers wurden nach dem Krieg wieder abgenommen. Es zeigt sich eindrücklich, dass das Fragment heute ehrlicher und auch „schöner“ empfunden wird als das  „vervollständigte“ Kunstwerk.

Wir dürfen also wenn wir Gemälde in der Hand haben, die Summe der erfolgten Restaurierungen auch als Indiz für die Echtheit ansehen. Für wertvoll erachtete Bilder wurden oft behandelt und weisen also eine regelrechte Vita auf: „Habent sua fata pinaces“ – Bilder haben ihre Schicksale. Die zu verschiedenen Zeiten ausgeführten Maßnahmen spiegeln eine Geschichte der zu verschiedenen Zeiten gängigen „Restaurierungsmethoden“ wider, welche nach heutigen Vorstellungen eher Uminterpretationen darstellen.

 

Abb. 1. Verkleinertes Leinwand-Gemälde: Bemalte Areale befinden sich im Umschlag des Gemäldes. (Abb.: Autor)

   

    Abb. 2. Anstückung eines Leinwand-Gemäldes die Anstückung befindet sich oberhalb des Kopfes der Dargestellten. (Abb.: Autor)

   

     Abb. 3. Anstückung einer Holztafel: Detail: Oberhalb des Kopfes und des Wappens wurde horizontal angestückt. (Abb.: Autor)

  

  Abb. 4. Anstückung einer Holztafel: Detail: Oberhalb des Wappens wurde horizontal ein angestückt. (Abb.: Autor)

  

 Abb. 5. Historische Anstückung an einem Gemälde oben und unten (Mariä Heimsuchung,  16. Jh., Öl/Holz). Die angestückten Teile zeigen sich dunkler als der originale Teil des Gemäldes in der Mitte. Dieser war schon stark verdunkelt und verschmutzt als die Tafel in der damals vorgefundenen Farbigkeit ergänzt wurde. Als dann die erfolgte Firnisabnahme die originale Farbigkeit des Mittelteiles wiederherstellte, zeigten sich die Ergänzungen dunkler (Abb.: Autor)

 

Anmerkungen
[1] Jacob Jordaens: „Das Bohnenfest“, Bomann Museum, Celle Schloss besteht aus mehreren Leinwandstücken
[2] Diego Velazquez: „Prinz Balthasar zu Pferde“ ist oben gesamt horizontal mit Leinwandstreifen angestückt; „Die Schmiede des Vulkan“ hat an der gesamten linken Seite eine vertikal Anstückung.
[3] Thorvaldsen, Bertel (* 19. November 1770 in Kopenhagen; † 24. März 1844 ebd.) , dänischer Bildhauer. Sohn eines isländischen Holzschnitzers. Mit elf Jahren Schüler der Freischule der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen bei Nicolai Abraham Abildgaard. 1796–1803 Aufenthalt als Stipendiat in Rom. Anerkennung durch Georg Zoëga und Antonio Canova. 1805 berief dieKöniglich Dänische Kunstakademie in Kopenhagen Thorvaldsen zu einem ordentlichen Mitglied und noch im selben Jahr ehrte ihn die Kunstakademie in Bologna mit einer Ehrenmitgliedschaft. Aufträge von Napoléon Bonaparte. 1818 Professor der Modelklasse an der Akademie der Schönen Künste in Kopenhagen. Das Thorvaldsen-Museum Kopenhagen wurde 1846 eingeweiht und beherbergt im Innenhof das Grab Thovaldsens.
[4] In der Glyptothek in München befindet sich die Giebelgruppen der Ägineten vom Aphaiatempel (Ost- und Westgiebel) in Ägina. Über ein Jahrhundert waren sie mit den Ergänzungen nach einer Rekonstruktion Thorvaldsens in München aufgestellt. Thorvaldsens nachklassizistischen Vorstellungen erfolgte Ergänzungen wurden jedoch wieder entfernt, weil diese sich nicht archäologisch halten ließen.

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Craquelé

Echt alt! Bemerkungen zum Craquelé 

Mephistos „[…] denn alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht […]“ hat absolute Gültigkeit: Nichts ist von Dauer, wir können den Verfall nur um eine bestimmte Zeit aufhalten. Die natürliche, irreversible Degradation von Kunstwerken (Abbau der Bindemittel, Verfärbungen, Craquelébildung) ist im besten Falle durch günstige klimatische Bedingungen und Schutz vor Umwelteinflüssen zu verlangsamen.

Ein Gemälde setzt sich zumeist aus sehr unterschiedlichen Stoffen wie z.B. Holz, Textile Gewebe, in Knochen- oder Hautleim gebundenem Kreidegrund, Aquarell-, Tempera-, Gouache-, oder Ölfarben, Überzüge aus Ölen oder Harzen zusammen. Das Craquelé bildet sich aufgrund von Klimaschwankungen aus, welche sich unterschiedlich im Gefüge auf die verschiedenen Bestandteile eines Gemäldes auswirken. Polymerisierende Farben verhalten sich spröder als lockerer gebundene  Farben, dunkle Bereiche eines Gemäldes erwärmen sich stärker als Helle. Deshalb ist ein gleichmäßiges Klima bei der Aufbewahrung von Kunstwerken so wichtig. Ein Alterssprungnetz (Craquelé), welches das gesamte Objekt überzieht, gilt heute zumeist auch als Altersindiz und vermittelt Authentizität. Es wird vom Betrachter grafisch wahrgenommen und als Farbwert zum Bild hinzu addiert. [1] 

Wieso sollte man also heute noch dieses wertvolle Altersindiz wegbügeln wollen, wie man es in den letzten Jahrhunderten immer getan hat? Restaurierungen welche das tatsächliche Alter eines Kunstwerkes negieren, lösen Widersprüche aus: Glänzende Oberflächen kollidieren mit craquelierten Farben, zerschrammte Oberflächen entsprechen nicht der durch auffällige Reinlichkeit suggerierten Gepflegtheit alter Objekte. Bei Restaurierungen ist also nicht nur Fachwissen und Erfahrung, sondern auch hohe Sensibilität des behandelnden Restaurators extrem wichtig. 

Nicht immer ist ein Craquele reines Altersindiz: maltechnische Fehler des Künstlers können es bedingen: falls die unter der oberen Farbschicht liegende Farbe nicht durchgetrocknet oder asphalthaltig ist, reißt die obere Farbschicht beim Trocknen und bildet ein Frühschwundcraquelé aus. Bis ins 19. Jh. glaubte man auch, „rissig“ gewordene Ölgemälde „nähren“ zu müssen und „behandelte“ diese mit ungeeigneten, oft weichmachenden Substanzen, welche die – im Barock zumeist rötlich eingefärbten Grundierungen – erweichen und diese bisweilen sichtbar durch das Craquelé austreten lassen.[2] 

Für viele Fälschungen spielt das Craquelé eine wichtige Rolle: Aber die natürliche Alterung kann überprüft werden, Falten, Craquelé, Spann- und Keilrahmensprünge, Verschmutzungen oder Schüsselbildungen können nicht leicht nachgeahmt werden. Besondere Vorsicht ist also geboten bei neuen, aber künstlich gealterten Objekten. Mit Knochenleim kann Craquelé erzeugt werden, mit Licht und Wärme kann man Farbveränderungen hervorrufen und im Klimaschrank kann man durch Schwinden und Quellen von Bildträgern Risse in der Malschicht erzeugen.[3] Kopien können auf altem Trägermaterial ausgeführt sein. Liegen beispielsweise Signaturen auf einer durchcraquelierten, weil älteren Oberfläche, ist aber schon mit dem Mikroskop erkennbar, dass es sich bei der Signatur um eine spätere Zutat handeln muss.[4]

  

  Abb. 1: Meister des Kreuzigungstriptychons von St. Florian: „Segnung (Krönung) Mariens“, um 1490, Tempera/Fichtenholz, AG Inv.-Nr. 397. Das Detail zeigt das Craquelé der gotischen Tafel. Die Beschriftung ist ebenfalls durchcraqueliert (Abb.: Nicolaus Lackner / UMJ)

 

 Abb. 2: An einem ungünstigen Klima ausgesetztem Gemälde hat sich ein starkes Craquelé ausgebildet (Abb.: Autor).

  Abb. 3: Das Craquelé (Detail aus Abb. 2) hat sich bildprägend entwickelt und dominiert die ursprünglich vom Künstler anders gedachte Oberfläche (Abb.: Autor)

   Abb. 4: Joannes de Cordua (1630-1702): “Stillleben mit Totenschädel”, Öl/Leinen, doubliert, AG Inv.-Nr. 563, Alte Galerie am Universalmuseum Joanneum. Bei dieser Malschicht tritt die erweichte Grundierung in kleinen Tröpfchen durch das Craquelé aus
(Abb.: Autor/Universalmuseum Joanneum)

 Wilhelm Thöny (* 10. Februar 1888 in Graz; † 1. Mai 1949 in New York): „Der  Fluss“, Öl/Leinen, um 1925/26, Neue Galerie Graz am Universalmuseum Joanneum.  Aufgrund eines maltechnischen Fehlers – die unter der oberen Farbschicht liegende Farbe war noch nicht durchgetrocknet – reißt die obere Farbschicht
(Abb.: Autor
/Universalmuseum Joanneum).

Anmerkungen: 

[1] Bucklow, 1994, S. 107; ders. 1997, S. 129-140; ders. 2012, S. 285-290
[2] Eipper, 2013, S. 16-41
[3] Helmut Qualtingers „Herr Karl“ liefert eine lustige Fälschergeschichte, in der der Protagonist aufgrund einer Ablehnung an der Akademie zum Fälscher wird und ganz bewusst gefälschte Objekte auftauchen lässt, um einen Kunsthistoriker vernichtend bloßzustellen.
[4] Nicolaus, 1973, S. 40-43; ders. Nicolaus, 1988, S. 18-24        

 

Literatur
Bucklow, S.: The classification of craquelure patterns. In: Conservation of Easel Paintings, Routledge, Oxon 2012, S. 285-290
Bucklow, S.: The description of craquelure patterns. In: Studies in conservation (3), Earthscan Ltd., London 1997, S. 129-140
Bucklow, S.: The Effect of Craquelure. In: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung (1), Worms 1994, S. 104–111
Eipper, P.-B.: Restaurierte Kunstwerke - Im Spannungsfeld von Authentizität und Interpretation. In: Handbuch der Oberflächenreinigung
(Eipper, P.-B., Hg.) 3. stark erweiterte und aktualisierte Auflage, Verlag Dr. Müller-Straten, München 2013, S. 16-41.
Eipper, P.-B. : Vom Schwinden des Originals- Zur Wahrnehmung von Kunstwerken. In: Restauratorenblätter (32) Eipper, P.-B. & Engel, P. (Hg.). Verlag Dr. Müller-Straten, München 2014, S. 66-157.
Nicolaus, K.: Signaturen - echt oder gefälscht? in Kunst & Antiquitäten (3), 1988, S. 18-24
Nicolaus, K.: Macro- und Infrarot Untersuchung der Signatur von Rembrandts "Männlichen Bildnis" in Braunschweig. In: Maltechnik Restauro (2), 1973, S. 40-43.

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Detailliert zum Craquelé auch: Morosz, Ryszard: Das Craquelé - ein "entspanntes Abbild der Lebensgeschichte eines Gemäldes. http://www.museum-aktuell.de/download/d_65.pdf