Besprechung: Koldehoff / Timm: Falsche Bilder - Echtes Geld
Stefan Koldehoff / Tobias Timm: Falsche Bilder - Echtes Geld. Der Fälschungscoup des Jahrhunderts - und wer alles daran verdiente. Berlin: Galiani 2012, 304 S., ISBN 978-3-86971-057-0 , EUR 19,99
Die Aktendeckel der Kölner Staatsanwaltschaft konnten kaum Staub ansetzen, da erscheint auch schon ein Buch auf dem deutschen Markt, das sich wie ein Nachbeben des zum "größten Kunstfälscherskandal der deutschen Nachkriegszeit" ausgerufenen Beltracchi-Falls ankündigt. In ihrer Publikation "Falsche Bilder - Echtes Geld" rekonstruieren die Journalisten Stefan Koldehoff (Deutschlandfunk) und Tobias Timm (Die Zeit) nicht nur die Gehaltslisten des internationalen Kunsthandels, sondern auch chronologisch die Aufdeckung der Fälschungen Wolfgang Beltracchis. Auf die sukzessive Darstellung, wie sowohl private als auch öffentliche Ermittler die einzelnen Fragmente von der Analyse der Sammlungsaufkleber bis hin zu materialtechnischen Untersuchungen zusammenführten, folgen längere Passagen, die anhand der Verkaufsgeschichten der Fälschungen deren jeweilige Stationen auf dem Kunstmarkt illustrieren. Die Analyse der beiden Autoren kulminiert sodann in einem "Kodex für den Kunsthandel", der auch Gesetzesänderungen impliziert, um darauffolgend die Aktualität und internationale Dimension von Kunstfälschungen durch die in Amerika bekannt gewordenen Fälschungen Abstrakter Expressionisten zu verdeutlichen. Fälschungen fußen bekanntlich auf der blinden Gier nach finanziellen Superlativen, wie man die Psychologie eines scheinbar aus den Fugen geratenen Systems subsumieren könnte. Doch gab es diese Fugen jemals, oder bedarf es gar zweier beherzter Journalisten, die dem Kunstmarkt endlich Manieren beibringen?
Besonders hervorzuheben ist zunächst das Engagement der Autoren, die eigene Forderung nach Aufklärung des Beltracchi-Falls einzulösen und zugleich eine Diskussion darüber anzuregen. Auch der insgesamt acht Punkte umfassende "Kodex für den Kunsthandel" ist ein durchaus ernst zu nehmender Vorschlag zur möglichen Eindämmung künftiger Fälschungen. Insbesondere die Überlegung, das Verfassen von Werkverzeichnissen an öffentlichen Einrichtungen zu zentralisieren und dafür entsprechende finanzielle und personelle Mittel bereitzustellen, verdient dabei eine besondere Beachtung, drückt sie doch die dringende Verbesserung der maroden Situation eben jener Bildungseinrichtungen aus, deren Auftrag die Sicherung des kulturellen Erbes ist (227). Problematisch erscheint hingegen der 7. Punkt dieses Kodex', wonach Fälschungen beispielsweise durch einen Stempel oder eine Datenbank kenntlich gemacht werden sollen (231). Doch jegliche Form der materiellen Kenntlichmachung einer Fälschung kann stets wieder entfernt werden. Damit eine Datenbank wie die von Markus Eisenbeis (Auktionshaus Van Ham, Köln) funktionieren kann, ist wiederum die Beteiligung nahezu aller Kunstmarktteilnehmer erforderlich. Dies allerdings scheint in Anbetracht der für jede Marktwirtschaft typischen Konkurrenzsituation kaum umsetzbar. Um einmal entlarvten Fälschungen jedoch ihre erneute Schädlichkeit zu nehmen, ist vielmehr die Gründung eines zentralen Fälschungsarchivs notwendig, das von öffentlichen Forschungseinrichtungen wie Universitäten geleitet wird. Hieraus würde sich wiederum die Möglichkeit eröffnen, Fälschungen sowohl zu Forschungs- als auch Lehrzwecken zu sammeln und so zudem deren erneutes Eintauchen in den Kunstkreislauf nachhaltig zu verhindern.
Betrachtet man das vorliegende Buch allerdings aus einer wissenschaftlichen Perspektive, so bietet es weder Erkenntnisse, die nicht auch zuvor bekannt gewesen wären, noch ermöglicht es, mangels Transparenz, weitere Forschungen, da Angaben weder anhand von Fußnoten oder Anmerkungen noch sonstigen Quellenangaben überprüft werden können. Auch eine Literaturliste sucht man vergeblich. Bestückt wird die Publikation hingegen mit Auszügen aus Artikeln, die bereits im Vorfeld oder kurz nach Erscheinen des Buches in der Wochenzeitschrift "Die Zeit" publiziert wurden, was auch die Schreibgeschwindigkeit der Autoren erklärt. So merkt man der Publikation förmlich an, dass diese zu allererst der Öffentlichkeit "Neues vom Fälscher" präsentieren wollte.
Problematisch ist zudem die teilweise subjektive Haltung, die die selbsternannten Ermittler und Richter in Personalunion in ihrem Buch einnehmen. So scheint die Intention der Autoren eine eigene Beweisführung und Anklage zu sein, wie auch Ira Mazzoni schlussfolgert. [1] Fraglich ist, ob die Veröffentlichung eigener Spekulationen und eines noch ungesicherten Fälschungsverdachts zu einem Zeitpunkt, an dem zahlreiche Zivilprozesse weder geführt noch beendet sind, instruktiv ist und langfristig zu einem brauchbaren Ergebnis führt oder nicht vielmehr der eigenen Sache dient. Während einzelne Akteure mit höchstem Lob bedacht werden, findet simultan ein undifferenzierter Rundumschlag gegen den Kunstmarkt, die Kunsthistoriker und die Experten statt. Geradezu grotesk wirkt dabei der rührselig anmutende Versuch, die sympathische Erscheinung Burkhard Leismanns, künstlerischer Leiter des Kunstmuseums Ahlen, mit dem es das Leben, wie die Autoren wissen, nicht immer gut gemeint hat, sozusagen als Milderung des Umstandes aufzuführen, dass sein Museum einer der Knotenpunkte für den Handel einiger Fälschungen war (58f.). Ohne das Verdienst Andrea Firmenichs schmälern zu wollen, muss auch hier relativiert werden. So ist das von ihr verfasste Werkverzeichnis Heinrich Campendonks durchaus kritisch zu betrachten, wenn nahezu ungefiltert Werke aufgenommen werden, deren Provenienz lediglich aus einer Schwarz-Weiß-Fotografie und dem Hinweis "Dokumentiert durch Foto" besteht. [2] Hier hätte sich eine kritische Auflistung nicht ausreichend dokumentierter oder zweifelhafter Werke geradezu aufgedrängt.
Zweifel an der Fundiertheit der kunsthistorischen Recherchen kommen gerade dann auch auf, wenn die Autoren zwar die Aufnahme des vermeintlichen Campendonk-Gemäldes "Katze in Berglandschaft" 1989 in dieses Werkverzeichnis nennen (171), jedoch unerwähnt lassen, dass neben den zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen just dieses Gemälde eine der wenigen ganzseitigen Farbtafeln erhält, was auf den Zugang zu einem entsprechenden Ektachrom 'des Besitzers' schließen lässt, worauf die Methodik Beltracchis indirekt abzielte. [3] Dabei adelt das per se Seriosität signalisierende Werkverzeichnis die besonders markant platzierte Fälschung zu einem anerkannten Werk Campendonks, was schon oft gängige Fälscher-Praxis war. So zierte ein gefälschter Van Gogh Otto Wackers das Katalogfrontispiz zu einer von ihm organisierten Ausstellung, die neben Zeichnungen und Aquarellen Van Goghs aus prominenten Sammlungen auch 'Wacker-Van-Goghs' zeigte. [4] Weiterhin verdeutlicht dies, dass Beltracchi für seine Fälschungen nicht nur kunsthistorische Fachliteratur rezipierte, sondern er war streckenweise gar Teil dieser kunsthistorischen Forschung.
Die sich dann anschließende Frage, was mit einer Fälschung passiert, wenn sie als solche entlarvt wird, beantworten die Autoren mit einem lapidaren Verweis auf deren gegenüber dem Original fehlende Aura und Geschichte (127). Was Walter Benjamin allerdings als "Verlust der Aura des Kunstwerks" bezeichnet, ist der durchaus nicht wehmütig gemeinte Verlust der Einmaligkeit zugunsten eines orts- und zeitunabhängigen Habhaftwerdens dieser Werke durch den Betrachter. Hierdurch rückt wiederum dessen Wahrnehmung einer zweiten immateriellen Ebene zu der rein materiellen Sichtbarkeit in den Fokus. In der Rezeption durch diverse Betrachter, aber auch über einen gewissen Zeitraum, ändert sich ein Kunstwerk gar in verschiedene Sehangebote seiner selbst. Ebenso verhält es sich mit der Fälschung. Denn auch nach ihrer Entlarvung hört diese nicht auf, als Bild zu wirken. Zudem blicken Fälschungen zurück und verinnerlichen den je aktuellen Blick auf Originale. Eben diese Seherwartung, die eine Fälschung zunächst als genuines Meisterwerk erscheinen lässt, führt umgekehrt nach deren Entlarven dazu, dass nun Mängel entdeckt werden, die allerdings nicht zwangsläufig faktisch vorhanden und rezipierbar sind, sondern vielmehr Projektionen dieser nun durch den Kontext der Fälschung veränderten Seherwartung.
Widersprochen werden muss den Autoren daher auch, wenn sie Fälschungen sozusagen als schnöde Kopien darstellen, die ihrer dem Original vorbehaltenen künstlerischen Wegfindung beraubt wurden (128). Denn gerade im Fall Beltracchi, aber auch bei dem Vermeer-Fälscher Han van Meegeren wird deutlich, dass sich die Fälscher intensiv mit ihren Vorbildern auseinandersetzen, um zu einer entsprechenden Bildsprache zu gelangen. Beltracchi hat dabei nicht 1:1 kopiert - auch die in dem Buch aufgeführten Bildbeispiele zeugen von einer Adaption, nicht von einer Kopie -, sondern vielmehr pasticcioartig Einzelelemente neu kombiniert und sich dabei genau überlegt, was dem aktuellen Desiderat entspricht. Den Fälschungen ist also durchaus eine Wegfindung immanent, die sie geradezu konstitutiv bedingt.
Das in nur sieben Monaten nach dem Kölner Urteilsspruch veröffentlichte Buch macht gerade für unbeteiligte Beobachter Zusammenhänge klarer und bietet zudem anregende Lösungsvorschläge. Neben all den Rufen nach verstärkten naturwissenschaftlichen Analysen wäre aber gerade eine kunsthistorische Erforschung von Fälschungen unabdingbar. Denn bereits zeitgenössische Fälschungen zeigen, dass auch naturwissenschaftliche Untersuchungen ihre Grenzen haben. Betrachtet man die Kunstgeschichte jedoch lediglich als Hilfswissenschaft für den Kunsthandel, gelangt man leicht zu den hier hastig zusammengetragenen Schlüssen. Viel zu leise wurde also auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Fachgebiete verwiesen, die jedoch der eigentliche, wenn nicht einzige Weg aus der Misere wäre.
Tina Öcal
(Zuerst online erschienen in "Sehepunkte")
Anmerkungen:
[1] Vgl. Ira Mazzoni: Wie man Augen betäubt und daraus Gewinn zieht, in: Süddeutsche Zeitung 110 (12./13.05.2012), 15.
[2] Vgl. Andrea Firmenich: Heinrich Campendonk: 1889-1957, Leben und expressionistisches Werk, mit Werkkatalog des malerischen Œuvres, Recklinghausen 1989, 361.
[3] Vgl. ibid., Farbtafel 33.
[4] Ich danke Prof. Dr. Henry Keazor (Saarbrücken) für diesen Hinweis.